Funktionelle Autoantikörper gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren
Mögliche Ursache von Long Covid und dem Post-Vakzin-Syndrom?
Hintergrundwissen und Theorie
Eine bestimmte Gruppe Autoantikörper, die bei Post Covid Syndrom Betroffenen gehäuft vorkommen, sind Autoantikörper gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAK), sie werden auch funktionelle Autoantikörper (fAAK) genannt. Im Falle von Post Covid kommen vor allem agonistische AAK vor, es gibt allerdings auch antagonistisch wirkende GPCR-AAK. Wallukat et al. untersuchten Seren von 31 Patienten mit Long Covid Symptomen, in allen Proben wurden funktionelle Autoantikörper nachgewiesen [1]. Sie scheinen auch eine Rolle bei der Schwere eines Covid-Verlaufs zu spielen [2]. Auch Autoantikörper gegen ACE2, eine der Eintrittspforten in menschliche Zellen für das SARS-Cov-2 Virus, kommen bei Post Covid Betroffenen in 80-90% aller Fälle vor [3]. Unseren eigenen Erfahrungen in diversen Selbsthilfegruppen nach werden diese Autoantikörper auch bei vielen Post Vakzin Syndrom Betroffenen gebildet (momentan zeigt sich, nach eigener Schätzung eine Prävalenz von 80-90%). Auch ein erster offizieller Fallbericht deutet darauf hin, dass diese Autoantikörper auch bei Post Vakzin Syndrom Betroffenen eine Rolle spielen könnten [4]. Auch über eine, nach der Impfung aufgetretene Dysautonomie, die durch diese Autoantikörper ausgelöst worden sein könnte, gibt es erste Fallberichte [5, 6]. Inzwischen wurde auch ein erster Fallbericht über das Long Post-Covid-Vaccination-Syndrome veröffentlicht [33].
Diese funktionellen Autoantikörper (fAAKs) waren vor der Covid-Pandemie überwiegend aus dem Bereich der kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen bekannt, beispielsweise Demenz, Typ 2 Diabetes oder Kardiomyopathie aber auch rheumatischen Erkrankungen [7, 8, 9]. Bei klassischen Autoimmunerkrankungen wendet sich das eigene Immunsystem durch fehlgebildete Antikörper gegen körpereigene Strukturen, was Entzündungen und Organschäden zur Folge hat. Funktionelle Autoantikörper wirken hingegen anstatt der natürlichen Liganden als Agonisten am Rezeptor und aktivieren ihn bei Bindung unkontrolliert und langanhaltend. Sie weisen somit ein breites Spektrum an pharmakologischen Eigenschaften auf [10, 11].
Die GPCR sind wichtige Vermittler der Signalübertragung und als diese an zahlreichen Körperfunktionen beteiligt, wie z.B. der Verarbeitung von Sinnesreizen, verschiedenen Stoffwechselfunktionen, Entzündungsprozessen, sowie dem Zellwachstum und der Zelldifferenzierung. Daher kann eine unkontrollierte Aktivierung also zu einer unwahrscheinlich großen Anzahl verschiedener Störungen führen. Ein bekanntes Beispiel ist der β1-Adrenoceptor. Dieser spielt eine große Rolle bei der Regulierung der Herzfunktion. Bei Menschen mit agonistischen Autoantikörpern gegen den β1-Adrenoceptor kann es daher zu unterschiedlichen kardialen Symptomen kommen, bis hin zu einer dilatativen Kardiomyopathie [12].
Weitere Erkrankungen, die mit GPCR-AAK assoziiert sind, sind Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS), Posturales Tachykardie Syndrom (Pots) und chronisches Schmerzsyndrom/Fibromyalgie [9, 13, 14, 15]. Dies sind alles Krankheitsbilder die auch gehäuft bei Post Covid Patienten und Post Vakzin Patienten auftreten oder sich gehäuft entwickeln [5, 6]. Bei Post Covid Patienten geht man momentan von einer Rate von 10-20% aus, die das Vollbild einer ME/CFS Erkrankung entwickeln.
Da die Impfkampagne noch nicht lange läuft und Ärzte oft zögerlich sind Symptome mit der Impfung in Zusammenhang zu bringen und es schlicht an diagnostischen Markern fehlt, dürften diese Art der Erkrankungen stark untererfasst sein. Doch auch nach anderen Impfungen sind Reaktionen aus diesem Formenkreis bekannt und, auf Grund des länger verstrichenen Zeitraums, auch öfter in der Literatur zu finden [16, 17, 18].
Neuere Forschungen deuten immer mehr darauf hin, dass es sich bei ME/CFS um eine neuroimmunologische Erkrankung handelt [19]. Schon vor der Covid-Pandemie gab es Forschungsarbeiten, die sich mit dem gehäuften Auftreten von agonistischen Autoantikörpern bei ME/CFS Patienten beschäftigten. Hier geht man von einer Prävalenz von 20-30% aller ME/CFS Patienten aus [19, 20, 21, 22, 23, 24]. Auch bei den einzelnen Komorbiditäten von ME/CFS und vielen anderen Erkrankungen werden gehäuft GPCR-AAK gefunden [9, 25, 26].
Behandlungsoptionen
Eine Immunsuppression ist bei dieser Art der Autoantikörper leider wenig hilfreich. Zu Beginn der Autoimmunreaktion, während sich die Autoantikörper bilden, scheint Kortison gut anzuschlagen, aber im weiteren Verlauf kaum mehr eine Wirkung zu haben. Deshalb bleiben neben generell immunmodulatorischen und antiinflammatorischen Maßnahmen wenige Therapieoptionen. Im Falle von ME/CFS Erkrankten gab es erste Studien zur teilweise erfolgreichen Entfernung der Autoantikörper mittels einer Immunadsorption [27, 28]. Auch bei anderen Erkrankungen, die mit den Autoantikörpern einhergehen, gab es schon erfolgreiche Heilversuche durch die Entfernung mittels Immunadsorption [29]. Diese ist jedoch sehr aufwändig und teuer und dabei werden, neben der schädlichen agonistischen Autoantikörpern, auch nützliche IgGs entfernt. Beobachtungen über einen längeren Zeitraum und die Tatsache, dass einige Patienten auch längerfristig symptomfrei sind, deuten darauf hin, dass sich die Autoantikörper bei den erfolgreich behandelten Fällen nicht neu bilden. [27, 28, 30]. Bei Post Covid und Post Vakzin Betroffenen gibt es leider bisher wenig Erfahrungen. Diese reichen von kompletten Heilungen über anhaltende Verbesserungen unterschiedlichen Ausmaßes bis hin zu einer Verbesserung mit einem Rückfall nach einigen Wochen. Eine Verschlechterung gab es bisher noch nicht. Generell haben auch bisher sehr wenige diese Behandlung durchlaufen, in Zukunft werden weitere folgen.
Ein weiterer therapeutischer Ansatz, der momentan leider noch nicht zur Verfügung steht, aber der bisher erfolgreich bei vier Post Covid Patienten angewendet wurde, ist das von der Augenklinik der Uniklinik Erlangen und Berlin Cures entwickelte Medikament BC007 [31]. Dieses ist ein DNA-Aptamer, dass GPCR-AAK bindet und somit unschädlich macht. Das eigentlich als Herzmedikament gedachte Mittel funktioniert somit wie eine selektive Immunadsorption. Bisher wurden damit 4 Post Covid Patienten behandelt. Alle erholten sich innerhalb kürzester Zeit komplett von ihren Symptomen. Von einem Patienten wissen wir, dass es nach einigen Monaten zu einem Rückfall kam und die Autoantikörper sich nachbildeten. Die Gelder für die BC007 Studie für Post Covid Patienten wurden inzwischen genehmigt und Gelder für eine weitere Studie für BC007 für ME/CFS Betroffene werden sehr wahrscheinlich im April genehmigt. Daher startet mindestens eine Studie dazu im Sommer diesen Jahres.
Eine weitere Behandlung, die allerdings nur die Symptome abmildern kann, ist die Blockade der Rezeptoren mit ihren entsprechenden Antagonisten. Diese blockieren ihre zugehörigen Rezeptoren und schützen sie so vor den Autoantikörpern. Viele Betroffene haben allerdings Autoantikörper gegen verschiedene Rezeptoren, weshalb man bei einer Behandlung gleich mehrere Antagonisten einsetzen müsste, die eventuell miteinander wechselwirken könnten und zusammen ein breites Nebenwirkungsprofil aufweisen.
Problematik
Leider ist es sehr schwer ein gutes Testverfahren für diese Autoantikörper zu entwickeln. Da man ja nicht nur die Bindung an den Rezeptor messen möchte, sondern auch, ob die AAK auch die entsprechenden Rezeptoren aktivieren, also pathogenes Potential besitzen. Darüber herrscht leider noch viel Verwirrung und Uneinigkeit und auch zwischen den Laboren gibt es Unstimmigkeiten [32]. Auch verschiedene Ärzte und Kliniken bevorzugen jeweils unterschiedliche Labore. Ebenfalls gibt es bei der Prävalenz der Autoantikörper in der Normalbevölkerung unterschiedliche Angaben, bzw. wenige Untersuchungen. Das Erde Labor gibt eine Prävalenz von 3-5% in der Normalbevölkerung an, untersucht wurde dies an Blutproben von Blutspendern. Auch laut Wallukat et. al kommen die Autoantikörper nur zu einem kleinen Prozentsatz in gesunden Kontrollgruppen vor [1].
Daher ist es auch mit diesen Autoantikörper Ergebnissen nicht leicht ärztliche Hilfe zu erlangen, da die Ergebnisse immer zusammen mit den Symptomen zu betrachten sind, was der Arzt natürlich wollen muss. Diese Problematik ist nicht auf die agonistischen Antikörper beschränkt. Auch ein erhöhter ANA-Titer kann beispielsweise bei Gesunden auftreten. Wenn ein Patient einen positiven ANA-Titer als Zufallsbefund aufweist, würde er ohne Symptome nicht behandelt werden. Andererseits treten auch seronegative Autoimmunerkrankungen auf. Also auch bei anderen Autoantikörpern gibt es Schwierigkeiten, wenn Symptome und Autoantikörperwerte nicht unbedingt zusammenpassen. Wenn allerdings Symptome vorhanden sind und Autoantikörper, die diese erklären, sollte deren Pathogenität zumindest in Betracht gezogen werden.
Ein weiteres Problem beim Nachweis ist, dass die Autoantikörper bei Post Covid und Post Vakzin Betroffenen, zumindest anfangs, zu schwanken scheinen. Außerdem können immer nur die Autoantikörper im Blut nachgewiesen werden, die zum Zeitpunkt der Blutabnahme nicht an die Rezeptoren gebunden sind. Das zeigt auch, dass die Höhe der Werte nur eine sehr bedingte Aussagekraft hat. Jemand mit geringen (oder keinen!) Werten im Blut, kann sehr starke Symptome haben, weil viele Autoantikörper an den Rezeptoren gebunden sind und andersherum. Auch konnten schon im Eluat einer Immunadsorption weitere Autoantikörper nachgewiesen werden, die vorher im Blut gar nicht gefunden wurden. Es gibt einige weitere Werte, die man überprüfen kann und die auf Autoantikörper hindeuten.
Ein weiteres großes Problem ist, dass die Autoantikörper natürlich für sich auch nur ein Symptom sind. Eventuell sind erhöhte Zytokin-Werte und/oder chronische Erreger, wie z.B. EBV und Borrelien, der Grund, dass die Schwelle herabgesetzt wird Autoantikörper zu bilden. Deshalb sollte sich eine Therapie auch nicht ausschließlich auf die Autoantikörper konzentrieren. Generell ist es wohl eine gute Idee alle Erreger im Körper zu bekämpfen, das Darmmikrobiom wieder aufzubauen und die Mastzellen zu stabilisieren. Alle Maßnahmen zusammen sollten dann das Risiko verringern, dass die Autoantikörper sich nach Entfernung nachbilden. Das Enterfernen der Autoantikörper zusammen mit den anderen Maßnahmen könnte dem ganzen System die Chancen geben sich zu beruhigen.
Derzeit bieten in Deutschland vier Labore eine Testung auf Autoantikörper an:
CellTrend GmbH – celltrend.de
E.R.D.E. aak Diagnostik GmbH – aak-diagnostik.de
Berlin Cures GmbH – berlincures.de
IMD Berlin – ME/CFS Diagnostik Profil
©J.R. (2022)
Ich bin keine Ärztin, sondern selbst betroffen und habe den Text mit bestem Wissen und Gewissen nach eigenen Recherchen erstellt. Er stellt keine Behandlungsempfehlung dar!
Quellenangaben:
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