1994 erhielt ich wegen einer geplanten Reise eine Schluckimpfung gegen Kinderlähmung. Drei Tage später traten erste Symptome auf: Mäusespeckgefühl unter den Füßen, Ameisenkribbeln bis unter die Brust, Schwächegefühl in den Beinen, große Erschöpfung. Mein Mann, Arzt, vermutete sofort einen Zusammenhang mit der Impfung, aber fünf Jahre lang gab es noch nicht einmal eine Diagnose. „Sie nehme das zu wichtig“, hörte ich damals häufig. Im April 1999 konnte ich mich aus der Hocke nicht mehr hochstemmen und zeigte Symptome einer nahezu kompletten Querschnittslähmung. In der Neurologie begann eine erneute Suche nach den Ursachen und im MRT fanden sich akute Entzündungen im zentralen Nervensystem und alte Narben, die erklärten, warum ich seit nahezu fünf Jahren über Symptome klagte. „Sie leiden an einer Myelitis transversa,“ meinte der Chefarzt damals und weiter: „Es kann sein, dass wir das gut in den Griff bekommen und Sie niemals ein Rollstuhl benötigen werden, es kann aber auch sein, dass Sie morgens wach werden und an allen Vieren lahm sind.“
Es folgten viele Krankenhausaufenthalte mit hoch dosierten Cortisontherapien. Es gibt Myelitiden, die nahezu vollständig ausheilen, meine zeigte sich leider immer wieder, und seit 2010 bin ich rollstuhlpflichtig. Ein Zusammenhang mit der Impfung, wollte aber keiner der Ärzte bestätigen, im Gegenteil, ich wurde belächelt, und der zeitliche Zusammenhang wurde mit einem Zufall begründet.
Erst 2006, im Zusammenhang mit einer Begutachtung durch die Deutsche Rentenversicherung, erklärte eine Neurologin, dass sie einen Zusammenhang mit der Impfung durchaus für möglich halte. Daher stellte ich im Februar 2006 meinem Antrag beim Versorgungsamt, voller Vertrauen darauf, dass eine Behörde objektiv und sachlich einwandfrei mein Fall bearbeiten würde. Zu der Zeit studierte ich bereits im sechsten Semester Rechtswissenschaften, da ich aufgrund meiner Erkrankung in meinem alten Beruf als Arzthelferin nicht mehr tätig sein konnte. Ich hatte viel über unseren Rechtsstaat und seine Organe gelernt und war sicher, alles würde seinen rechten Gang nehmen. Leider habe ich mich getäuscht und wurde 17 Jahre lang in Widerspruchs – und Klageverfahren verwickelt, um am Ende endlich alle meine Ansprüche befriedigt zu sehen. Es dauerte fast sechs Jahre, bis ich als Impfgeschädigte anerkannt wurde (durch Urteil des Sozialgerichts). Danach weitere elf Jahre wegen der Höhe des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) und des mir zustehenden Berufsschadenausgleichs. Erst im Frühjahr 2023 konnte auch das letzte Verfahren beendet werden. Meine Erkrankung ist währenddessen fortgeschritten. Meine Atemhilfsmuskulatur ist betroffen, weil einige Herde in meinen ZNS sehr weit oben sitzen, ich leide an ausgeprägten Schlafstörungen, Spastiken in den Beinen und einer sehr starken Dranginkontinenz. Aber ich habe eine großartige Familie, die mir zur Seite steht, und im Sitzen bin ich so gut wie alle anderen auch. Mein Studium habe ich im März 2012 im Alter von 56 Jahren mit der 2. Juristischen Staatsprüfung abgeschlossen und habe mich in das Soziale Entschädigungsrecht „reingefuchst“, so dass ich mich erfolgreich vertreten konnte. Inzwischen bin ich Rentnerin und versuche täglich, meine Selbständigkeit soweit möglich zu erhalten.
Jetzt, wenn ich lese, was den möglicherweise heute Impfgeschädigten widerfährt, denke ich, dass sich kaum etwas geändert hat. Über meine Geschichte habe ich ein Buch geschrieben, um aufzuklären und Mut zu machen. Marie